Kommentare zum Text von Wilfried Nelles

...und sie dreht sich doch! - Kommentar von Olivier Netter

Wilfried Nelles hat in seinem im PdS FORUM erschienen Aufsatz „Anmerkungen zu den Ordnungen der Liebe“ gleich zu Anfang die These formuliert: „Es gibt keine Ordnungen der Liebe“.


1.

Ich fragte mich zunächst, nachdem ich dann den ganzen Artikel gelesen hatte, welches Ziel verfolgt Nelles mit seinem Artikel, was treibt ihn an und motiviert ihn? Was ist im Lichte dessen, was ich bereits früher von Nelles gelesen und persönlich gehört habe, seine Idee dabei? Meine Antwort lautet: Ich glaube, er möchte den Aufstellern in aller Unschuld und ganz freundlich sagen, dass er sie langweilig und bieder findet. Dass er die „Ordnungen der Liebe“ und alles was damit zusammenhängt als einengende Vorstellung nicht mehr mitträgt, und stattdessen eine weniger brave und angepasste Form des Zusammenlebens und des Aufstellens befürwortet, in der das Wort Liebe nicht mit Ordnung, sondern mit Leidenschaft und Erotik verbunden wird. Dass sich aus der gelebten erotischen Liebe heraus, die er ja selbst in den Mittelpunkt stellt, ganz andere Verhaltensweisen als normal und in Ordnung erweisen, die mit garantierten Rechten und aufgeräumten Verhältnissen zu Gunsten der Nachkommen nichts zu tun haben.
Damit stößt er bei mir durchaus auf Verständnis. Auch mir erschienen, vor allem am Anfang meiner Kontakte mit der Welt der Aufstellungen, die Aufsteller und Aufstellerinnen irgendwie Wesen ohne Unterleib und ohne Trieb zu sein. Auch heute herrscht unter Kolleginnen und Kollegen meist ein betont umarmender, liebevoller, verständnisvoller Ton, der es nicht leicht macht, sachliche Differenzen jenseits gelebte Mäßigung voraussetzender moralischer Forderungen und Beurteilungen leidenschaftlich und lebendig auszutragen. Und, so sage ich, hat nicht auch Hellinger selbst in seinen späten Jahren auf die „Ordnung“ gepfiffen und sich von seiner langjährigen Ehefrau getrennt, um sich mit einer viel jüngeren und attraktiven Frau zu verbinden? Ist nicht gerade er das beste Beispiel dafür, dass ein erstrebenswertes Leben erst jenseits der „Ordnungen“ zu suchen und zu finden ist?
Die Frage ist sicher erlaubt, ob durch die „Ordnungen der Liebe“ nicht ein enges, sexualitäts- und triebfeindliches Bild von dem Zusammenleben der Menschen entworfen wurde, das wir vielleicht heute überwinden müssten. Zur eigenen Sexualität stehen und sich den besonderen Gesetzen der erotischen Anziehung aussetzen und damit natürlich auch seine eigene Umgebung, das wäre ein neuer Ansatz in der Arbeit mit Aufstellungen. Sollten wir nicht uns selbst und unserer Umgebung, unsere Klientinnen und Klienten ihrer Umgebung, erotische Energie, Abenteuer und Überraschungen zumuten und daraus eine andere, erwachsenere Gesellschaft entstehen lassen? So verstehe ich Nelles. Oder spricht da vielleicht auch bloß mein eigenes Unbewusstes mit mir? Mehr erwachsene Autonomie und weniger abhängige Beziehungen, weniger ausgeliehenes Funktionieren und dafür mehr Bereitschaft, sich selbst zu halten, zu stabilisieren und auf eigenen Beinen zu stehen. Das vertrete ich, neben den Ordnungen der Liebe, in meiner Arbeit als Paartherapeut und als erwachsener Mann und dazu stehe ich.


2.

In der Altersgruppe der jungen Menschen zwischen 25 und 40 Jahren gibt es aktuell eine Bewegung, die diese Idee umzusetzen scheint: Polyamorie – die moderne Bezeichnung für die offene Beziehung, ein Konzept und ein Begriff, der bereits in den 1990er Jahren entstand, und welches unter den Bedingungen des Internet neue Aktualität erhalten hat. Festzuhalten ist, dass hier der erotischen Liebe nicht nur die Fähigkeit zugesprochen wird, das eigene Leben lebenswerter zu machen, sondern dass sie dafür tauge, eigene Normen und Ordnungen zu setzen, die zu einer Veränderung unseres Zusammenlebens führen. Soweit ich das aus meiner beruflichen Praxis bisher mit verfolgen konnte, hat die Polyamorie für viele, die sich als Paare darauf einlassen, mehr Probleme und auch Leiden gebracht, als diese gedacht hatten.


Dies alles erinnert mich an eine Debatte, die bereits in „Der eindimensionale Mensch“ von Herbert Macuse, dem kulturprägenden Buch der Studentenrevolte, das 1964 in den USA und 1967 in Deutschland erschienen ist, geführt wurde. Marcuse formulierte eine Kritik an der eindimensionalen kapitalistischen westlichen Gesellschaft und begab sich, unter anderem in diesem Buch, auf die Suche nach einer jenseits der „judäochristlichen Moral“ stehenden neuen Moral, die die vitalen Bedürfnisse nach Freude, nach dem Glück und die ästhetisch-erotischen Dimensionen erfüllen könnte. Der gesellschaftlichen und kulturellen Manipulation setzt Marcuse die Negation entgegen: einerseits die Verneinung durch Kritik, andererseits die Weigerung, dieses Spiel mitzuspielen und die Suche nach dem qualitativ Anderen. (sinngemäß zitiert nach Wikipedia: H. Marcuse) Nelles war da 20 Jahre alt. Ich selbst habe erst 1978 mit 23 dieses Buch gelesen, Nelles auch?
Nelles selbst stellt mehrere Überlegungen zum Verhältnis von Liebe und Ordnung an:
„Der Genitiv bedeutet sprachlich jedoch – und wird dann sicherlich auch inhaltlich so aufgefasst -, dass diese Ordnungen zur Liebe gehören. Die Rangfolge – Eltern kommen vor den Kindern, das erste Kind vor dem zweiten usw. – zum Beispiel gilt auch an der Supermarktkasse. Es ist eine soziale Ordnung, die mit Liebe überhaupt nichts zu tun hat.“ (Hervorgehoben von mir)
Was jetzt genau festgestellt wurde ist mir nicht ganz klar. Gehören diese Ordnungen, hier die Rangfolge, zur Liebe in dem Sinne, dass sie aus der Liebe folgen oder sind es soziale Ordnungen, die der Liebe nur angehängt sind? Ich vermute er meint Letzteres.
Und weiter unten schreibt er:
Etwas anderes wäre es, wenn Hellinger gesagt hätte: "Die Liebe braucht eine gewisse Ordnung, um gedeihen zu können" (hervorgehoben von mir). Ich denke, das war es auch, worauf er hinweisen wollte und was sich auch in den Aufstellungen zu zeigen scheint. Dann kann man aber nicht so tun, als wenn die Ordnungen ein Bestandteil der Liebe wären, wie es der Begriff suggeriert.“
Hier entscheidet Nelles ganz klar: Die Liebe empfängt passiv gewisse Ordnungen um gedeihen zu können und sie selbst hat im Wesen nichts damit zu tun. Und das deshalb, weil für Nelles „die Liebe“ ganz wesentlich und vor allem die erotische, triebgesteuerte sexuelle Liebe ist, die bekanntlich ihre eigenen Gesetze hat, wie ich hier anfüge.

Die grundsätzliche Überlegung, dass Liebe und „(statische?) Ordnung“ nichts miteinander zu tun hätten, sondern eher unvereinbare Gegensätze darstellten, ist nachvollziehbar, wenn nur vom reinen Begriff ausgegangen wird und wenn vor allem die erotische Liebe als Maßstab herangezogen wird. Dass die erotische Liebe aber scheinbar durchaus auch eigenen Gesetzen folgt, steht dieser Schlussfolgerung irgenwie logisch etwas im Weg. Wie dem auch sei: Liebe und Statik gehen nicht zusammen. Die Lebensrealität ist aber nicht von reinen Formen, sondern von Mischungen geprägt. Abschaffen oder ein für alle Mal lösen lassen sich keine der grundlegenden Widersprüche: Zugehörigkeit versus Autonomie, Sicherheit versus Entwicklung, Integrität versus Kompromissfähigkeit und sexuelle Intensität versus Beständigkeit sind einige weitere Beispiele dafür. Dem erwachsenen Menschen bleibt nichts anderes übrig, als diese spannungsvollen, Enttäuschung und Frust bringenden Zwickmühlen des Lebens, möglichst konstruktiv zu bewältigen.
Dazu kommt, dass es, wie bereits angemerkt, ganz offensichtlich nicht „DIE LIEBE“ gibt sondern verschiedene Formen der Liebe. Die Liebe in den „Ordnungen der Liebe“ ist für mich klar erkennbar, eine mehr allgemeine, gebende und maßvolle Liebe. Sie ist wirklich nicht, da hat Nelles völlig Recht, die aufregende erotische Verliebtheit und die kompromisslose „erotische LIEBE“, Unterscheidungen öffnen hier aber wieder den (spannungsvollen) Raum für unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben und die darin enthaltenen unterschiedlichen Forderungen.


3.

Eine Gesellschaft, eine Organisation, eine Gruppe kann mehr oder weniger von Liebe durchdrungen sein. Ein totalitärer Staat, eine Diktatur folgen nicht dem Geist der Liebe, sondern dem der Gewalt und Ungleichheit. Wo gefoltert, manipuliert, eingeschränkt und unterdrückt wird, herrschen nicht die Regungen der Liebe, sondern solche der emotionalen Kälte und inneren Abgeschnittenheit von eigenen und fremden Gefühlen.
Die Regungen dieser in der Breite wirkenden maßvollen Liebe gründen auf klaren Wertempfindungen: Gleichwertigkeit aller Menschen untereinander, Bejahung der Existenz aller Menschen und ihres lebendigen Wesens, Bejahung auch der körperlichen Unversehrtheit und ein liebevoller Blick für die Fehler, die Unfertigkeit und Entwicklungsbedürftigkeit eines jeden Menschen. Auf das der Mensch nicht nach ihm fremden Grundsätzen bewertet und entwertet werde und sich unter dem liebendenBlick entwickeln kann.
Das sind meiner Ansicht nach die inneren Voraussetzungen, die mitzudenken sind für das, was Hellinger „die Ordnungen der Liebe“ genannt hat. Worum es in diesem Begriff meiner Ansicht nach geht wird deutlich, wenn klar ist, dass der Genitivus objektivus, der Genitiv des Satzobjektes und nicht der des Satzsubjektes gemeint ist. Nicht „die Liebe“ erhält passiv eine Ordnung von wem oder was auch immer, sondern umgekehrt: Dieses oder Jenes erhält eine Ordnung und Qualität und zwar von der Liebe und dies kommt bei Hellinger zunächst und vor allem in der Familie zur Darstellung. Das wäre nun genau das Gegenteil von dem, was Nelles in seinen Anmerkungen darlegt.
Dieser Ausgleich von Geben und Nehmen, diese Rangfolge der Mitglieder und diese absolute Zugehörigkeit, so wie sie Hellinger erläutert hat, sind Forderungen, die vor allem mit ihrer besonderen Qualität, im Bereich der Familie eben aus dem Wesen der Liebe folgen und nur aus dem Blick der Liebe auf die Familie. Gilt ein anderes Wertefeld als maßgeblich, beispielsweise die Treue zu überpersönlichen Prinzipien, wie die Treue dem Staat oder einer Religion gegenüber, kann nicht diesen Prinzipien der Liebe gefolgt werden, sondern anderen. Totalitäre Staaten und strenggläubige Kulturen, verfolgen Zwecke und Ziele in ihren Wertesystemen, die mit der Liebe, die bei Hellinger gemeint ist, nichts oder wenig zu tun haben. Die bei Hellinger gemeinte Liebe gilt nicht nur aber immer auch dem einzelnen Menschen und der Anerkennung seiner Bedürfnisse nach Unversehrtheit, Selbstachtung und Wertschätzung , Überpersönliche, nicht humanistische Wertsysteme und Ideologien sind vor allem anderen der Treue gegenüber dem eigenen Ursprung und der Sicherung der Bedingungen des eigenen Fortbestandes verpflichtet. Sie können deshalb keine Entwicklung der Gesellschaft noch die ihrer Mitglieder akzeptieren, die sie nicht vollständig kontrollieren,
Der persönlichen Entwicklung, hin zur freien Entfaltung des inneren Potentials, wird in autoritären Systemen und Gesellschaften immer ein Riegel vorgeschoben. Wenn die Emanzipation der Frauen und die des Einzelnen überhaupt weiter voranschreitet, wenn die Ordnungen oder besser die Qualiäten einer Ordnung, die durch die Anwendung von alltäglichen Liebeshandlungen und Liebesempfindungen Einzelnen gegenüber weiter in eine Gesellschaft eindringen können, dann verwirklichen sich Veränderungen in neuen Bereichen unter den Ordnungen der Liebe und es lösen sich weitere Härten, Unterdrückung und Ungerechtigkeiten auf. Jeder und Jede, unabhängig ob Mann oder Frau, Parteimitglied oder Parteiloser, Gläubige oder Nicht-Gläubige darf dann in der Bejahung ihrer und seiner eigenen Existenz ein Stück mit dem Segen der anderen weitergehen. Ungeachtet dessen, was die Tradition, die Religion oder der Staat dazu sagen. Das ist das Prinzip. Es fällt nicht schwer, hier die Verbindung zur christlichen Religion zu bemerken – so wie sie gemeint war.


4.

Auf einem anderen Blatt steht, dass offensichtlich aber die Kraft der Liebe nicht ganz ausreicht, um alle Bereiche der menschlichen Existenz mit ihren Forderungen und Qualitäten zu durchdringen. In den unpersönlichen, lieblosen Handlungen des Schicksals versucht die Liebe zunächst noch den Sinn der liebenden Entwicklungsförderung zu sehen, bevor sie kapituliert. Die Liebe, oder besser die, die ihr folgen, müssen zum Schluss das Wirken anderer Grundsätze als der Liebe, in der menschlichen Existenz anerkennen.
Auch das hat Hellinger ganz offensichtlich getan. Stichworte sind hier seine Überlegungen zu den verschiedenen Formen des Gewissens und dem spät entwickelten „gehen mit dem Geist“. Beides sind Konzepte, in denen menschliche Bedürfnisse nach Würde, Glück und Erfüllung nicht an erster Stelle stehen. Stattdessen geht es hier um die Anerkennung von überpersönlichen wirkenden Kräften, die den Menschen und sein individuelles Wohl nicht im Zentrum haben. Der Mensch erscheint hier als Mittel und ist nicht mehr der Zweck. Siehe die Formulierung Hellingers:„…. die Finger einer Hand“.
Mit zunehmender Entfernung von der Familie verliert die Liebe ihre Kraft, den Dingen und Umständen ihre besondere Qualität der Ordnung zu übertragen. Organisationen und Staaten vermag sie noch ihre Prinzipien und Werte zu vermitteln. Unsere Gesellschaft und unser Staat sind dafür Beispiele, so wie andere Staaten mit autoritären Organisationsstrukturen die Abwesenheit von Liebesprinzipien deutlich zeigen. Grundsätzlich können „die Ordnungen der Liebe“ überall auftreten, aber in der Realität tun sie das (noch?) nicht.
Die erotische, wilde und freie Liebe jenseits der Familie, der Einbindung und Verpflichtung hat selbstverständlich ebenfalls ihre „Ordnungen“. Sie zu benennen ist ja nicht so schwer. Seit jeher ist sie eine utopische, positive und gesteigerte Vorstellung von Unbedingtheit, Authentizität und der Identität mit sich selbst und seinen wechselnden Emotionen und Bedürfnissen und dem zeitweiligen ekstatischen verschmelzen mit dem begehrten Menschen. Daran gemessen, kann man mit der Schilderung der Liebe in Familien, die nur gedeihlich sein aber keinen Spass machen soll, lange Strecken nicht fliegen, sondern muss zu Fuss gehen. Beide Wege stehen uns allen immer frei. Selbst wenn die „Ordnungen der Liebe“, so oder anders, weiterhin Bestand haben. Was ich Ihnen und uns sehr wünsche.

Ordnungen der Liebe 1.0 - Kommentar von Bertold Ulsamer zu Wilfried Nelles

Nicht dass ich mir jetzt als Fossil vorkommen muss!
Ich gestehe, dass die von Bert Hellinger erstmals formulierten Ordnungen der Liebe mich und meine Aufstellungsarbeit seit 25 Jahren begleiten und leiten. Ich halte sie für einen Meilenstein der modernen Psychotherapie. Sie verbessern? Updaten? Das kommt mir unmöglich vor. Wenn ich aufstelle, dann stellen sie so etwas wie den Fixstern am Himmel dar, nach dem ich mich bei meinen Interventionen orientiere. Da will ich hin, auch wenn ich mich unmittelbar von den Wahrnehmungen und Gefühlen der Stellvertretenden in andere Richtungen führen lasse. Denn im Hinterkopf habe ich den Gedanken, dass ein wirklicher Friede wohl erst dann da ist, wenn er in Einklang mit den Ordnungen ist. Das war so, als ich mit den Aufstellungen begann, heute ist es genauso.
Was sich in meiner Arbeit mit Aufstellungen verändert hat, dass ich selbst freundlicher, weniger rigide bin und schneller zur Liebe finde, deren Ausdruck diese Ordnungen sind. Darüber hinaus habe ich durch andere Methoden neue und andere Möglichkeiten gefunden, Klienten zu unterstützen.

Überblick
Im Folgenden stelle ich dar, wie ich diese Ordnungen verstehe. Im Anschluss daran nehme ich zu den Gedanken von Ero Langlotz und Wilfried Nelles Stellung.
Ich verstehe unter den Ordnungen vier Leitlinien oder Prinzipien für „gute Lösungen“. Darunter verstehe ich Lösungen, bei denen der Klient einen oder mehrere Schritte weiter zu einer „erwachsenen“ Haltung geht. Für „erwachsen“ halte ich Einsichten, die diesen Ordnungen entsprechen.
Die vier Ordnungen sind:
• Für jeden gibt es in der Familie einen stimmigen Platz.
In einer Familie (und auch in anderen Systemen) gibt es einen stimmigen „guten“ Platz für jedes Mitglied. Dabei stehen normalerweise die Eltern nebeneinander gegenüber den Kindern. Der Mann steht meistens am ersten Platz, die Frau am zweiten (dem Uhrzeigersinn nach). Die Kinder stehen in Reihenfolge des Lebensalters in einem leichten Halbkreis, so dass sie die Eltern und sich gegenseitig sehen können.
• In der Familie sind Eltern und Vorfahren „groß“, die Kinder sind „klein“.
Die „Größe“ schreibe ich deshalb mit Anführungszeichen, weil es nichts mit Autorität oder Macht zu tun hat, auch nichts mit Unterwerfung von Seiten der Kinder. Sie sind die Beschreibung einer inneren Haltung. In der idealen Familie sind die Eltern „groß“, d. h. sie geben und die Kinder sind „klein“, weil sie bekommen. Die Eltern stehen da, liebevoll und fürsorglich. Die Kinder spüren diese Liebe und können entspannen, weil sie sich sicher und geborgen fühlen. Eltern und Kinder sind liebevoll verbunden.
In allen anderen Lebenssituationen sind Menschen gleich groß, insbesondere als Paar, das immer ebenbürtig ist. Die gleiche Größe gilt auch für den Arbeitsplatz. Wer deshalb seinen Chef (oder auch Hellinger) als „größer“ erlebt, sieht ihn nicht wirklich, sondern verwechselt ihn ein Stück weit, z. B. mit seinem Vater.
• Jedes Mitglied einer Familie gehört in gleicher Weise dazu.
Niemand darf ausgeschlossen oder auch vergessen werden.
• Jeder trägt sein Schicksal allein.
Das eigene Leben, die eigenen Lasten, das eigene Glück, das eigene Unglück, die eigene Schuld und den eigenen Tod trägt jeder allein. Niemand kann es ihm abnehmen und für ihn oder auch mit ihm tragen.
Der Ausgleich von Geben und Nehmen spielt in meiner Arbeit keine Rolle. Ich habe bisher festgestellt, dass immer, wenn dieser Ausgleich nicht vorhanden war, andere familiäre Dynamiken vorrangig waren.

„Ordnungen der Liebe“ und die Unordnung der „normalen„ Familie

Versuche ich mir mit solchen Ordnungen, eine heile Welt zu basteln? Richte ich mich nach einem Ideal aus, um der Realität zu entfliehen? Schade ich also Klientinnen und Klienten, weil ich sie noch lebensuntauglicher mache?
Die „normale“ Familie sieht doch ganz anders aus! In der Realität, die das Anfangsbild einer Aufstellung spiegelt, sind Familien eher verwirrt und durcheinander. Da stehen die Einzelnen durcheinander, sehen sich nicht an und schauen in verschiedene Richtungen. Geschwister sind getrennt oder im Konflikt miteinander. Sie fühlen sich unwohl an ihren Plätzen.
Die Rollen von Eltern und Kindern lassen sich oft nicht unterscheiden. Kinder stehen als Stütze oder Tröster nah bei Vater oder Mutter. Regelmäßig erleben sich die Kinder als groß und Eltern immer wieder als klein. Statt dass Kinder bekommen, müssen sie ihren liebebedürftigen Eltern geben.
Und wie sieht es damit aus, dass jeder in gleicher Weise dazu gehört? Seit jeher werden in Familien Personen aus dem Gedächtnis der Familie gedrängt. Entweder schämt sich die Familie wegen des Mitglieds oder die Erinnerung ist Schrecken, Angst und Schmerz verbunden (z.B. ein Tod in jungen Jahren). Wenn jemand außerhalb der Familie gedrängt wird, kommt es zu einer „Ersatzordnung“, die den Ausschluss zu kompensieren versucht. Der Ausgleich ist, dass der oder die Ausgeschlossene in der Familie später durch ein Kind vertreten wird. Sie sind „verstrickt“, wie Aufstellende es nennen.
Jeder trägt sein Schicksal ganz und gar allein? Eigentlich tun es die wenigsten. Menschen wehren sich innerlich gegen ein schweres Schicksal und auch den Tod. Erfahrungen wie im Krieg oder auf der Flucht sind unerträglich. Kinder spüren das, sie wollen solche Vorfahren in ihrem Leid nicht allein lassen und versuchen, es mit ihnen zu tragen.

Wie zu den „Ordnungen der Liebe“ finden?

So geht Unglück weiter von Generation zu Generation. Wie von hier aus zu den oben beschriebenen Ordnungen finden?
Ich tue mich etwas schwer, weil mir große Worte nicht so liegen. Aber meine Erfahrung durch Aufstellungen von Familien, ja vom Leben überhaupt, ist die, dass sich immer Liebe in unterschiedlichen Formen zeigt. Das gerade beschriebene Durcheinander der „normalen“ Familie ist ein Ausdruck der Liebe, die im Untergrund zwischen ihren Mitgliedern fließt. Es ist eine archaische, eine kindliche Liebe, die sich in Bindung und Loyalität zeigt. Zugehörigkeit ist das Wichtigste.
Kinder spüren, was die anderen brauchen und übernehmen die notwendigen Rollen. Da steht z.B. die kleine Enkelin vor der belasteten Großmutter, möchte sie stützen und fühlt sich mindestens so groß und stark wie sie. Aus Liebe trägt sie den Schmerz oder Schock der Oma weiter – auch wenn sie das in ihrem Leben unglücklich macht.
Diese Energien sind sehr stark, wirken unbewusst und bestimmen weit mehr im eigenen Leben, als dem einzelnen klar ist. Der Grund, warum Kinder mittragen, ist ihre Liebe zu der Familie, zu der sie gehören!
Gleichzeitig ist eine Sehnsucht da nach Wachstum und Reife. In der Tiefe hat jeder und jede von uns eine Ahnung von den oben beschriebenen Ordnungen. Sie sind als Wissen in uns vorhanden. Wenn ich aufstelle, suche ich den Klienten mit diesem Wissen zu verbinden. Deshalb bringe ich immer wieder Elemente dieser Ordnung ein und schaue, ob sie angenommen werden.
Der Sohn steht vor dem Vater. Ich schlage ihm vor nachzusprechen: „Du bist der Große und ich bin - nur!- der Kleine.“ Die Enkelin vor der Großmutter: „Ich achte dich und dein Schicksal und lasse es dir.“
Die Rückmeldungen der Stellvertreter bestimmen, ob ein Vorschlag im Moment Sinn macht. Vielleicht muss auch erst einmal das Gegenteil ausgesprochen werden. Dann sagt die Enkelin zur Oma: „Ich will dir dein Schicksal nicht lassen, sondern mit dir tragen.“ Und das ist im Moment stimmig!

Nicht die Ordnungen sind entscheidend

Das entscheidende Kriterium dabei ist: Gibt eine Intervention Kraft? Wirkt sie lösend? Entspannt sie? Erlebt es ein Stellvertreter als richtig, einen bestimmten Satz zu sagen oder den Platz zu verändern? Wenn etwas stimmig ist, verändern Stellvertreter sich, sie richten sich auf, ihre Gesichtszüge werden gelöst, sie atmen tief aus.
Nicht theoretische Grundannahmen (Ordnungen ja oder nein?) entscheiden, ob eine Intervention richtig ist, sondern die unmittelbare Beobachtung. Aufgrund solcher Wahrnehmungen hat Hellinger die Dynamiken in Familien formuliert. Hat eine Intervention keine oder eine verengende Wirkung, dann hat sie das nicht getroffen. Sie wird dann zurückgenommen und vergessen.
Das erfordert vom Aufstellenden, immer wieder seine gedanklichen Konstrukte zur Seite zu legen und sich von dem Feld der Aufstellung führen zu lassen.

Von der kindlichen zu einer erwachsenen Liebe

Die oben formulierten Ordnungen haben sich um die Grundtatsachen des Lebens herum gebildet. Mann und Frau sind auf der Welt als sexuelle Wesen. Ihre Sexualität existiert, um sich fortzupflanzen. Gleichzeitig weiß der Mensch um seine Endlichkeit, auch wenn er Tod und Vergänglichkeit noch so sehr verdrängt. Wir werden allein geboren und werden allein sterben und in der Zwischenzeit führt uns das Leben.
Jemand löst sich aus dieser kindlichen Verbundenheit, wenn er den anderen mit seinem Schicksal achtet. Dazu muss er ihn sehen, d. h. wirklich wahrnehmen. Eine stimmige Verneigung ist der körperliche Ausdruck der Achtung. Die Achtung lässt die fremde Last bei dem, zu dem sie gehört. Die eigenen Lasten bleiben und jemand wird dadurch mehr mit dem eigenen Schicksal konfrontiert.
Das verbindet uns auf einer anderen erwachsenen Ebene als Menschen. Die Liebe wird erwachsener, aber der Ursprung ist der gleiche.

Stellungnahme zu Langlotz und Nelles

Wenn ich die Artikel von Langlotz und Nelles lese, finde ich es schön, wie jeder von den beiden sein Eigenes weiter entwickelt hat. Ich denke, das ist das, was die Arbeit mit Aufstellungen bei den meisten von uns anregt.
Aufstellungsarbeit ist so vielfältig und kann auf so vielen verschiedenen Ebenen wirken.

Traumata, Opfer und die Liebe

Langlotz rückt das Trauma und die Symbiose in den Vorderrund. Ich fand es schon bei Franz Ruppert bedauerlich, dass er den Begriff von Trauma so ausweitet, dass wir alle traumatisiert sind. Dann verliert der Begriff in der Psychotherapie seine Substanz, wo es um Unfallopfer, Vergewaltigte oder Kriegstraumatisierte geht.
Wir können Elemente, Begriffe unterschiedlichster Art aufstellen und das „wissende Feld“ verbindet die Stellvertreter mit Energien, die für den Klienten wichtig sind. So geschieht es auch mit Begriffen wie Wahres Selbst, Überlebens-Selbst, das falsche Selbst der Eltern usw. Ich halte viel von dieser Arbeit mit inneren Anteilen („Ego-States“), nutze und lehre sie selbst.
Wenn ich selbst mit dem Verhältnis von einem Kind zu seinen Eltern arbeite, bleibe ich lieber nur bei den Fakten und Personen und versuche hier die Liebe aufzuspüren. Aber das sind persönliche Vorlieben.
Wir sind alle auch Opfer der Eltern und der Gesellschaft. Auf einer Ebene kann ich dem zustimmen. Gleichzeitig fand und finde ich die Einsicht von Hellinger so befreiend und stärkend, dass wir – und alles Kinder – auch Liebende sind. Mitleiden in der Familie ist ein Ausdruck dieser Liebe. Wenn diese Liebe und Loyalität gespürt und entdeckt werden, dann ist das der erste große Schritt, um den anderen zu sehen und ihm sein Leid zu lassen.
Ob unsere Eltern uns lieben, liegt nicht in unserer Hand. Aber wir als Kinder können unsere Liebe zu den Eltern entdecken. Keine Eltern konnten dem Kind all die Liebe geben, die es gewollt hat. Das ist einfach so. Aber mit dem Entdecken der eigenen Liebe blüht etwas Neues auf.

„Ordnungen der Liebe“ absolut falsch?

Nelles macht es mir mit seinen Ausführungen etwas schwieriger. Er lehnt den Begriff „Ordnungen der Liebe“ als absolut falsch ab, weil die Liebe keine Ordnung hat. Liebe sei – anfangs - chaotisch, spontan und wild oder auch, wenn sie ganz gereift ist, still und ruhig.
Deshalb nennt er seine Arbeit „Ordnungen des Lebens“. Das verstehe ich nicht. Ist das Leben ordentlicher als die Liebe? Ist es nicht genauso chaotisch und wild und unkontrollierbar?
Das, was Hellinger als „Ordnungen der Liebe“ bezeichnet – die Zugehörigkeit, der Ausgleich, die Rangfolge – habe mit Liebe nicht das Geringste zu tun. Die Ordnungen seien nicht nur statisch, sondern sie seien auch kindlich. Sie fixieren die Liebe auf etwas Kindliches. Das gelte besonders für die wichtigste dieser so genannten Ordnungen, für die Zugehörigkeit.
Kindliche Liebe und Zugehörigkeit sind der Ausgangspunkt, von dem aus Hellinger einen Weg zu einer reiferen Liebe gezeigt hat. Deswegen hat Nelles hier etwas nicht verstanden oder wieder vergessen.
Ich stimme Nelles zu, wenn er sagt, es gehe nicht um ein Recht oder einen Anspruch auf Zugehörigkeit, sondern Zugehörigkeit von Kindern zu ihrer Familie sei einfach eine Tatsache. So erlebe ich es auch in Aufstellungen. Diese Tatsache wird durch Handlungen oder Sätze noch einmal verdeutlicht.

Verstorbene Familienmitglieder aufstellen?
Etwas schockiert hat es mich zu lesen, dass Nelles die Zugehörigkeit (das Hereinnehmen) verstorbener Familienmitglieder lediglich für ein kindliches Bedürfnis hält, das er ablehnt.
„Wer tot ist, ist nicht mehr da, nicht mehr unter den Lebenden und gehört in diesem Sinne auch nicht mehr dazu. Mit dieser Lücke muss man leben, einem Erwachsenen muss und kann man dies auch zumuten. Die Toten (in einer Aufstellung) wieder dazu zu nehmen bedeutet, so zu tun, als ob sie noch lebten und die Tatsache ihres Verschwindens zu verwischen.“ Das hätte kein Verhaltenstherapeut besser sagen können, kann ich mir hier nicht verkneifen.
In meiner eigenen ersten persönlichen Aufstellung war die Begegnung meines Stellvertreters mit dem Vater meines Vaters, der sich früh erhängt hatte, der zentrale Moment. Plötzlich machte mir so viel in meinem Leben Sinn. Diesen toten Großvater in mein Herz zu nehmen, hat mein Leben in neue Bahnen gelenkt.
Natürlich ist das ein kindliches Bedürfnis! Aber kindliche Bedürfnisse einfach abzuqualifizieren hat noch keinem Klienten geholfen. Es geht darum kindliche Bedürfnisse anzuerkennen, manchmal auch zu befriedigen. Das bahnt den Weg zum Erwachsenen. Wie viel Heilung habe ich schon durch die Begegnung mit Verstorbenen erlebt! Wie viel Frieden bringt diese Verbindung! Wenn ich nur an die Vorfahren denke, die manchmal im Rücken eines Klienten stehen und ihn stärken!
Dieser Schritt Hellingers war bahnbrechend und eröffnete neue Dimensionen, neue Tiefen in den „Ordnungen des Lebens“.

Ein letzter Blick auf meine Arbeit
Nach Nelles ist wohl meine ganze Aufstellungsarbeit kindlich, denn ich suche ja die Richtung einer guten Lösung nach den oben beschriebenen Ordnungen der Liebe. Ja, manchmal bin ich sogar gerührt, wenn ich in Kontakt mit der Tiefe der Liebe bekomme, die in Menschen wohnt, worüber Nelles sich ebenfalls herablassend äußert. Schade!

Bertold Ulsamer: Anmerkung zu Olivier Netter

Was Hellinger zur Sexualität gesagt hat, fand ich sehr eindrucksvoll "Der Geist ist willig und das Fleisch ist weise." Und dem ist er nie untreu geworden!

Thomas Gehrmann: Ordnungen und Liebe. Zu Wilfried Nelles' "Anmerkungen zu den Ordnungen der Liebe"

1 

"Ordnungen der Liebe" nannte Bert Hellinger das erste Buch, dass er selbst 1994 über seine Arbeit veröffentlichte. (Nach dem ersten Buch über seine Arbeit, Zweierlei Glück, welches Gunthard Weber herausgegebenen hatte.). Diese Ordnungen bildeten eine Grundlage für das systemische Familienstellen nach Hellinger, und zwar den Teil davon, den man schulmäßig lernen und anwenden kann. Nun hat Wilfried Nelles, einer von der „alten Garde“ unter den Aufstellern, ein paar Anmerkungen zu den ‚Ordnungen der Liebe’ veröffentlicht, in denen er ans Eingemachte geht. Zusammengefasst schreibt er: 

„Was Hellinger als Ordnungen der Liebe' bezeichnet – die Zugehörigkeit, der Ausgleich, die Rangfolge – hat mit Liebe nicht das Geringste zu tun.  Korrekterweise hätte es heißen müssen: ‚Ordnungen in Beziehungen’. 

Beziehungen dürften, wenn Rangfolge, Ausgleich und Zugehörigkeit beachtet werden, stabiler sein. Über die Liebe sagt dies aber nichts aus. Diese Ordnungen sind der Liebe vollkommen fremd. Weder der Ausgleich von Geben und Nehmen noch die Rangfolge nach der Zeit noch die Zugehörigkeit zu einem System hat auch nur die geringste Verbindung zur Liebe. Erst das ist wirklich Liebe, wenn man nichts erwartet.“ 

Das ist der Gehalt, der zur Diskussion steht. Allerdings ist die Überschrift „Anmerkungen“ eine Untertreibung, die seine Sstatements noch wuchtiger erscheinen lässt. Nach einer kurzen Einführung beginnt Nelles mit einem Paukenschlag: „Es gibt keine Ordnungen der Liebe. An diesem Begriff stimmt fast nichts. 

Das ist schon ein Knaller! Mir kam dazu eine von Berts alten Geschichten in den Sinn, in welcher ein kleiner Affe in seiner Palme herumschreit, er warte auf den großen Elefanten: „Dem knall ich eine mit der Kokosnuss, dass ihm der Schädel kracht.“ Ein Kamel, das dies hörte, dachte aber: „Was will er denn wirklich?“ Mir geht es nun wie dem Kamel in der Geschichte.  

Worauf genau Nelles’ Ausführungen letztlich auch zielen mögen, er hat seinem Anliegen, so scheint mir, keinen guten Dienst damit getan, es mit diesem Kracher einzuleiten. Das lenkt ab und führt zu Missverständnissen. So heißt es in der redaktionellen Anmerkung und Einladung: „Die Existenz der natürlichen Ordnungen, der systemischen Verstrickungen und Gesetze, sowie die selbstverständliche Arbeit mit Ahnen und deren unerledigten Beschwernissen bilden das Fundament der Arbeit vieler Aufstellerinnen und Aufsteller. Ist Aufstellungsarbeit ohne sie überhaupt denkbar, so wie es Wilfried Nelles hier für notwendig erklärt? 

Tut er das? Ich habe in Nelles’ Text nirgendwo gefunden, dass er irgendetwas „für notwendig erklärt“. Ebenso wenig hat er „die Existenz der natürlichen Ordnungen“ bestritten. Wie ich es sehe, geht es ihm hauptsächlich darum, dass diese Ordnungen nicht Ordnungen der Liebe genannt werden sollten, „als wenn die Ordnungen ein Bestandteil der Liebe wären.“  

Dafür, dass sie es nicht seien, nennt Nelles mehrere Argumente, die mich im Eeinzelnen zwar nicht alle gleichermaßen überzeugen, aber im Großen & Ganzen kann auch ich nicht erkennen, wie sich diese Ordnungen aus der Liebe herleiten ließen. Nelles’ Vorschlag, lieber von „Ordnungen in Beziehungen“ zu sprechen, hat etwas für sich. 

Für sich genommen ist der wuchtige Satz „Es gibt keine Ordnungen der Liebe“ natürlich leicht misszuverstehen, so, als ob es diese Ordnungen nicht gäbe. Solch einen Satz würde ich auch nicht mehr als Anmerkung bezeichnen, eher als Breitseite. Deren erstes Opfer ist schon Nelles’ eigener nächster Satz: „An diesem Begriff stimmt fast nichts“. Der geht unter, ist es aber wert, aus seiner Versenkung hervorgehoben zu werden. Er macht nämlich deutlich, dass sich Nelles nicht in der Sache gegen die Ordnungen wendet, sondern gegen ihre Bezeichnung als Ordnungen der Liebe. Die hält Nelles für unangemessen, und darin stimme ich ihm zu. 

2  

In seiner Einleitung schreibt Nelles: „Was Hellinger inhaltlich zu den ‚Ordnungen der Liebe’ sagte, schien mir zu stimmen, obwohl es teilweise sehr unscharf war. Aber an dem Begriff stimmte etwas nicht, ohne dass ich damals sagen konnte, was das war.“ Das kann ich sehr gut nachvollziehen, denn mir selbst ging es ganz ähnlich. Auch ich habe diesen Begriff so nicht mehr verwendet. In unserem Buch Gehen mit dem Geist  beispielsweise benutzte ich statt dessen den Begriff „systemische Ordnungen“. (Gehrmann/Steinbach, Gehen mit dem Geist. Ein Lehrbuch für das geistige Familienstellen nach Bert Hellinger. Kassel 2014) 

Bert hat dieses Buch in seinem Entstehungsprozess begleitet. Er hat jedes Kapitel des Manuskriptes gelesen. Wenn ihn etwas daran gestört hätte, hätte er es gesagt. Das hat er aber nicht. Vielmehr hat er in dieser Zeit selbst, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, den Begriff „Ordnungen der Liebe“ nicht mehr verwendet, sondern einfach von „den Ordnungen“ gesprochen.  

Was Nelles als Grund für sein Unbehagen nennt, dass sich die Ordnungen eben keineswegs aus der Liebe herleiten, scheint mir nun, da ich es gelesen habe, ganz offensichtlich. Darauf bin ich nicht selbst gekommen. Ich meinerseits störte mich an etwas anderem, nämlich an der Unschärfe des Begriffs „Liebe“ in dieser Formel. Von welcher Liebe ist denn da die Rede? 

Bert selbst hat ja sehr unterschiedliche Formen der Liebe beschrieben, etwa die Bindungsliebe, und eigentlich müsste man schon hier von Bindungslieben in der Mehrzahl sprechen: Da ist einmal die Bindung des Kindes an seine Mutter, dann beide Eltern und Geschwister, aber auch an das größere Familiensystem, aus dem die Verstrickungen herrühren. Zum anderen gibt es die Bindung in der Paarbeziehung, begründet durch den Geschlechtsakt und besiegelt durch die Elternschaft. Weiter gibt es die Bindung zwischen Täter und Opfer, die vordergründig nicht leicht als Liebe zu erkennen ist, sondern erst im alchemistischen Prozess einer Aufstellung.  

Dann hat Bert von der triebhaften, geschlechtlichen Liebe gesprochen oder, wie Bertold Ulsamer in seinem Kommentar zitiert, der „Weisheit des Fleisches“. Des Wweiteren gibt es die „Liebe auf den zweiten Blick“ und zum Schluss auch noch die „Liebe des Geistes“, in der, wie Hellinger sagte, die Ordnungen aufgehoben sind und keine Bedeutung mehr haben. Um was für eine Liebe ging es Bert bei seinen „Ordnungen der Liebe“?  

Am ehesten, vermute ich, ist die Bindungsliebe des Kindes gemeint. Aus dem Familienstellen haben wir gelernt, dass jedes unerklärliche Leiden und jede rätselhafte Verrücktheit einen verborgenen Sinn haben. In der Regel finden wir eine ausgeschlossene Person im System, mit der jemand in kindlicher Liebe verbunden ist. 

Kindlich nicht, weil es sich um das symbiotische Verhältnis zur Mutter handeln würde oder die Abhängigkeit des unmündigen Kindes von seiner Familie, sondern weil es regelmäßig die Kleinsten sind, welche in unbewusster Verstrickung das Schicksal des Ausgeschlossenen als eigenes auf sich nehmen. Bert beschrieb dieses Phänomen mit den Worten, jemand sei mit diesem Ausgeschlossenen „identifiziert“ oder sei mit ihm „in Liebe verbunden“. 

3 

An dieser Stelle erlaube ich mir, kurz abzuschweifen: Nelles schreibt in seinen Anmerkungen (in seinem Punkt 4): „Es gibt kein ‚Recht’ auf Zugehörigkeit. So etwas wie Ansprüche oder Rechte haben in der Psychologie nichts verloren.“  

Wenn zum Beispiel Klienten in einem unserer Aufstellungskurse ihr Anliegen nicht nur benennen, sondern auch erläutern wollen, beginnen sie oft Beschreibungen wie „mein Vater war nie da“ oder „meine Mutter war so dominant“ et cetera. Ich unterbreche das meistens uns sage: „Das ist Psychologie. Was wir hier machen, hat mit Psychologie nichts zu tun.“ 

Das im Anliegen ausgedrückte Leiden mag „psycho“ sein und der heilende Effekt der Aufstellung wird vielleicht ebenso auf dieser Ebene wahrgenommen; insofern mag die Bezeichnung der Aufstellungsarbeit als Psychotherapie eine Berechtigung haben. (Bertold Ulsamer nennt in seiner Replik auf Nelles die Ordnungen der Liebe „einen Meilenstein der modernen Psychotherapie.“) Das Phänomen der Verstrickung jedoch hat mit Psychologie ebenso wenig zu tun wie die Ordnungen, die (beziehungsweise deren angemessene Bezeichnung) hier zur Diskussion stehen. 

Warum ist es denn so, dass bei der Verstrickung stets die Nachgeborenen, die „Kleinen“ unbewusst diese Aufgabe übernehmen mit all den bedrückenden Folgen? Kann es dafür eine psychologische Erklärung geben? Wenn wir unbewusst mit einer ausgeschlossenen Person verstrickt sind, liebevoll verbunden sind, entspringt das ja keiner persönlichen Begegnung mit dieser Person, sondern ist uns (wie Bert gern sagte:) „von woanders her“ vorgegeben. So, wie uns die Ordnungen vorgegeben sind. Von woher eigentlich? Die Frage wäre sicher bedeutsam, auch wenn sie unter Aufstellern eher nicht gestellt wird. Von der Psychologie jedenfalls ist darauf keine Antwort zu erwarten. 

4 

Nelles wendet sich gegen die Annahme „dass diese Ordnungen zur Liebe gehören“ oder dass sie „ein Bestandteil der Liebe wären“. Wenn ich davon ausgehe, welche Rolle die Liebe in der Verstrickung spielt, dass sie einen Nachgeborenen mit einem früheren Ausgeschlossenen verbindet, dann komme ich zu dem Schluss, dass es richtiger wäre, umgekehrt zu sagen, dass diese Liebe ein Bestandteil einer Ordnung ist. Liebe ist das Instrument, mit dem die Ordnung ihre Ziele durchsetzt und die ausgeschlossene Person wieder in das System hereinholt.  

Am Schluss seiner Anmerkungen versteigt sich Wilfried Nelles zu der Aussage: „Die Liebe hat keine Ordnung... Liebe ist immer ‚in Ordnung’... Am Ende ist sie selbst die Ordnung, die einzige, der zu folgen sich lohnt.“ Das klingt ziemlich pathetisch. Und es stimmt auch nicht. Inwiefern sollte denn die Liebe eine Ordnung sein? Und auch noch „die einzige, der zu folgen sich lohnt“? Steht es uns etwa frei, einer Liebe zu folgen oder auch nicht? Können wir abwägen: „Diese Liebe lohnt sich mehr als jene“, und uns dann dafür oder dagegen entscheiden? Das entspricht weder meiner Lebenserfahrung noch dem, was ich vom Familienstellen gelernt habe. 

5 

Dem sachlichen Gehalt seiner Anmerkung würde Nelles einen Gefallen tun, wenn er damit nicht so rigoros und polterig daherkäme. Diese Zuspitzungen sollen seine Aussagen wohl verdeutlichen, verzerren sie jedoch, so dass sie Ablehnung provozieren statt neue Horizonte für das Denken zu eröffnen. Beispiele: 

Diese Ordnungen sind der Liebe vollkommen fremd. Weder der Ausgleich von Geben und Nehmen noch die Rangfolge nach der Zeit noch die Zugehörigkeit zu einem System hat auch nur die geringste Verbindung zur Liebe.“ Vollkommen? Nicht die geringste? Ist das wahr?  

Nehmen wir die „Rangfolge nach der Dauer der Zughörigkeit“. Die Liebe zwischen den Mitgliedern einer Familien ist ein Gefühl für die gemeinsame Zugehörigkeit zu dieser Familie. Eine Überhebung der Kleinen über die Großen in der Familie hebt diese Liebe zwar nicht auf, vermindert aber ihren Fluss. Das haben wir schon zigmal in Aufstellungen gesehen, dass die Liebe dann wieder fließt, wenn die Ordnung wiederhergestellt wird. Das ist noch kein Grund, hier von einer „Ordnung der Liebe“ zu sprechen, doch dass es zwischen Ordnung und Liebe nicht die geringste Verbindung gäbe, ist einfach falsch. 

Das Beispiel der Verstrickung als einer liebenden Verbindung mit einem Ausgeschlossenen zeigt, dass Nelles Urteil, die Ordnungen (hier: Ordnung der Zugehörigkeit) hätten „mit Liebe nicht das Geringste zu tun“, in dieser Absolutheit falsch ist. Hätte er geschrieben „...hat mit Liebe nur wenig zu tun“, würde ich fragen: „Was ist dieses Wenige? Und von welcher Liebe ist hier eigentlich die Rede?“  

Die Liebe des Säuglings zu seiner Mutter ist eine ganz andere als umgekehrt die der jungen Mutter zu ihrem kleinen Kind. Darüber hinaus wird die Erfahrung der nämlichen Mutterliebe beim zweiten, dritten oder vierten Kind unterschiedlich erlebt werden. Die Liebe der Großeltern zu ihren Enkeln ist wieder verschieden. Die Verliebtheit eines Teenagers ist etwas anderes als die Liebe zwischen zwei Menschen, die seit 20 Jahren zusammen sind. Die unterschiedslose Liebe, die manche alten Menschen verströmen, ist noch einmal ganz anders. Ist in all diesen unterschiedlichen Formen der Liebe wirklich etwas enthalten, was man als ihre unveränderliche Essenz ansehen könnte? 

6 

In allen gegebenen Beispielen, seien sie von Hellinger, von Nelles oder in den Antworten von Netter und von Ulsamer auf Nelles, zeigt sich, dass Liebe zwar in recht unterschiedlicher Gestalt erscheint, aber keineswegs beliebig – mal so, mal so – sondern dass sie einer Entwicklung folgt. Das ist die Entwicklung eines Menschen nach dem Lebensalter 

Nelles selbst hat ein Schema von Lebens- und Bewusstseinsstufen dargelegt. (Nelles, W., Das Leben hat keinen Rückwärtsgang: Die Evolution des Bewusstseins, spirituelles Wachstum und das Familienstellen. Köln 2009.) Er beschreibt als eine Abfolge: Das Einheitsbewusstsein (Reifung im Mutterleib), das Gruppenbewusstsein (Kindheit), das Ich-Bewusstsein (Jugend), Verbundenheits-Bewusstsein (junge Erwachsene), Sendungsbewusstsein (reife Erwachsene), Ganzheitsbewusstsein (Alter) und Allbewusstsein (Tod). 

Ich persönlich orientiere mich eher am anthroposophischen Konzept der neun aufeinander folgenden Lebensjahrsiebte (konzentrierte und entsprechend anspruchsvolle Kurzfassung dazu: anthrowiki.at/Siebenjahresperioden), mit dem ich etwas besser vertraut bin. Es kommt mir hier nicht darauf an, verschiedene Konzepte gegeneinander abzuwägen, sondern nur darauf, dass wir uns bewusst machen, dass jeder von uns bestimmte Abfolge von Entwicklungsschritten im Lauf seines Lebens durchläuft – und was das für unsere Beziehungen und für die Liebe in unseren Beziehungen bedeutet. 

Im ersten Jahrsiebt werden die Grundlagen dern körperlichen Gesundheit entwickelt. Das Kind ist noch ganz mit der Mutter verbunden, nicht nur emotional, sondern auch über die Energie-Körper (Ätherleib). Im zweiten Jahrsiebt löst sich diese Bindung. Im dritten Jahrsiebt löst der junge Mensch sich von den Eltern. Er lebt im Spannungsfeld von körperlichen Trieben und geistigen Idealen. Vom ersten bis zu 21. Lebensjahr vollzieht sich biologische Reifung.  

Im vierten Jahrsiebt wird der Mensch mündig. Es ist eine Selbstfindungsphase mit Identitätskrisen. Im fünften Jahrsiebt beginnen die jugendlichen Ideale zu bröckeln. Denken und Fühlen müssen in dieser Zeit integriert werden. Im sechsten Jahrsiebt beginnt der Abbau der körperlichen Kräfte. Es ist auch eine Phase der Selbsterforschung, des Ringens um Authentizität. „Die Entschuldigung, die Eltern oder die Erziehung seien schuld, gilt nicht mehr.“ Vom 21. bis 41. Lebensjahr vollzieht sich seelische Reifung. 

Im siebten Jahrsiebt kommen wir zu einer größeren Überschau sowohl gegenüber der Welt als auch mit Blick auf unseren eigenen Lebenslauf. In diesem Alter erleben wir Freude an der Entwicklung der anderen, statt uns von ihnen als Konkurrenten bedroht zu fühlen. Im achten Jahrsiebt bewegen uns die großen Fragen der Menschheit. Wir kümmern uns nicht nur um die eigenen Kinder, sondern fühlen uns auch der Generation verpflichtet, in der nun auch unsere Kinder stehen. Möglicherweise lösen wir eine Partnerschaft und beginnen eine andere. Die Zeit vom 42. bis zum 63. Lebensjahr gilt der geistigen Reifung. 

Es wird jeder wohl zustimmen können, dass menschliche Entwicklung im Lebensbogen ungefähr so abläuft. Die obige Darstellung (siehe Burkhard, G., Schlüsselfragen zur Biographie. Stuttgart 1994) geht nur wenig darauf ein, wie sich die Qualität unserer Beziehungen im Lauf dieser Entwicklung verändert, wie sich die Liebe zwischen Eltern und Kindern auf beiden Seiten entwickelt oder die Liebe in der Beziehung eines Paares. Das kann jeder selbst durchdeklinieren.  

7 

Nelles vertritt in seinen Anmerkungen: „Erst das ist wirklich Liebe, wenn man nichts erwartet.“ Heute, als alter Mann, könnte ich dem zustimmen. Mit fünfzig hätte ich es intellektuell verstanden, hätte es aber nicht leben können. Mit dreißig hätte mich solch eine abgefahrene Idee vielleicht fasziniert, auch wenn (oder gerade weil) sie mich an die Grenzen meiner Vorstellungskraft gebracht hätte. In den ersten drei Jahrsiebten hätte ich nichts, aber auch gar nichts damit anfangen können, obwohl ja auch Kinder einen Begriff von Liebe haben. Was Nelles da als „wirkliche Liebe“ skizziert, geht an der erfahrbaren Wirklichkeit der meisten Lebensalter vorbei. Sind die etwa von wirklicher Liebe ausgeschlossen? Ist die Liebe der Kinder nicht wirklich Liebe? 

Die seelige Verbundenheit zwischen Säugling und Mutter (oder die panische Angst, wenn die Mutter nicht da ist), das sexuelle Begehren der Jugend, die bewusste Verantwortung und die Fürsorglichkeit, schließlich eine wohlwollende Zugewandtheit zu allem, was ist – all das kann man als Formen der Liebe bezeichnen. Liebe erscheint uns mal als ein Instinkt, mal als ein Gefühl, mal als Bewusstsein, mal als innere Haltung.

Diese Ausgestaltungen der Liebe allein nach dem Lebensalter sind sowohl nach ihrem Inhalt als auch nach ihrer Form sehr verschieden, zum Teil dermaßen verschieden, dass sie einander sogar ausschließen, zum Beispiel: eine geliebte Person „haben“ müssen oder sie genau so gut ziehen lassen können. Und doch hat im Lebenslauf eines Menschen alles seinen Platz und ist richtig. Allerdings ist jede Liebe richtig nur an ihrem richtigen Platz ist, so wie Eltern und Kinder, die Großen und die Kleinen, in ihrer Familie ihren richtigen Platz haben, selbst wenn sie ihn vielleicht (zum Beispiel mit einer Aufstellung) erst noch finden müssen. 

Das Wort Liebe allein sagt also wenig aus, es sei denn, dass es sich aus einem bestimmten Kontext ergibt. Sonst müssen wir nachfragen, von welcher Liebe die Rede ist. Von daher halte auch ich den Titel „Ordnungen der Liebe“ für nicht sinnvoll, sondern für verwirrend, ja irreführend. Wir müssen auch hier nachfragen: Welche Ordungen und welche Liebe stehen da in Beziehung zueinander? Und in welcher Weise? So, wie zum Beispiel Nelles in Frage stellt, ob diese Ordnungen so „zur Liebe gehören“, dass sie „ein Bestandteil der Liebe wären.“ Und ich stimme ihm zu: Nein, das tun sie nicht. 

8 

Stattdessen würde ich umgekehrt vertreten, dass die menschliche Liebe in all ihren Gestalten einer Ordnung folgt. Der oben beschriebene Lebensbogen beschreibt die Entwicklung zwischen Geburt und Tod. Verschiedene Stufen eröffnen vierschiedene Möglichkeiten und stellen verschiedene Anforderungen. Wir begegnen ihnen mit unseren sich immer weiter entfaltenden Möglichkeiten. 

So wie bei den systemischen Ordnungen, wie Hellinger sie beschrieben hat, können wir auch bei den Rhythmen des Lebensbogens von einer Ordnung zu sprechen. Es gibt in ihnen einen bestimmten Ablauf von Entwicklungsstufen, die nicht in unserem Belieben stehen, an denen wir nichts ändern können. Eine verzögerte Entwicklung ist möglich, nicht aber eine andere. 

Wenn es so ist, dass die die verschiedenen Gestalten von Liebe jeweils einer Entwicklungsstufe auf dem Lebensbogen entsprechen, dann folgen unvermeidlich auch sie jener Ordnung, der diese Entwicklung folgt. Das hieße wiederum, dass es durchaus sinnvoll sein kann, von „Ordnungen der Liebe“ zu sprechen, nur eben nicht so, wie Nelles es in seinen Anmerkungen deutet: „Es beginnt mit dem Wörtchen ‚der’, dem Genitiv. Das ist eindeutig falsch. Die Liebe hat keine Ordnung.“ 

Da kommt es wieder darauf an, was das Wörtchen „hat“ genau meint. Man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen! Die Liebe hat – vielgestaltig, wie sie ist – sehr wohl eine Ordnung, insofern sie nämlich einer Ordnung unterworfen ist. Sie fügt sich in eine Ordnung, in der sie eine Funktion darstellt. Man könnte auch sagen: sie dient dieser Ordnung und ihrem Ziel. 

Ob Bert Hellinger das mit seinem Begriff „Ordnungen der Liebe“ sagen wollte? Es würde mir gefallen, wenn es so wäre, aber vermutlich war es das nicht. Besser, wir finden uns damit ab, dass dies für immer Berts Geheimnis bleiben wird. 

Über die Ordnungen oder über die Liebe nachzudenken, soweit es mit der Aufstellungsarbeit zu tun hat, und eben auch über den Zusammenhang zwischen Ordnungen und Liebe, bleibt als Aufgabe. Wenn Nelles meint, an dem Begriff Ordnungen der Liebe stimme fast nichts, sollten wir nicht nachfragen: Wenn „fast nichts“ daran stimmt – was ist denn das Wenige, das eben doch stimmt? Es könnte wichtig und wertvoll sein. 

 

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